JOE BOWIE W/ DEFUNKT

Das Bett, Frankfurt, 4.01.2018

Joe Bowie & Defunkt„Ja, die Alten, die können es noch!“ Der, der das sagt, ist ausgerechnet Joseph Bowie, nachdem er noch keine 15 Minuten auf der Bühne des Frankfurter Clubs „Das Bett“ steht – aber ja, er hat Recht, zumindest in diesem speziellen Fall, wie alle Anwesenden mehr als zwei Stunden später wissen werden. Dabei hatte der Mann, den ich bisher 1988 in der Batschkapp und 1992 im Sinkkasten mit seiner Formation DEFUNKT erlebt habe, leichte Schwierigkeiten überhaupt den Backstage-Bereich zu erreichen: Das vor 30 Jahren mit Unterhemd und Schnauzbart auftretende Kraftpaket bahnte sich mit Krückstock den Weg durch die noch sehr überschaubare Menschenmenge, dabei alte Bekannte im Publikum treffend. Mich überkamen leichte Zweifel bei der Vorstellung, dass das aktuelle Konzert es mit denen vor 30 bzw. 26 Jahren würde aufnehmen können. Aber ja: Die Alten, die können es noch. Traf auf so einige zu am ersten Donnerstag im neuen Jahr.

Die Band DEFUNKT existiert bereits 40 Jahre, also seit 1978. Punkzeit, auch in New York City. Aber in New York äußerte sich die Freiheit des Punk nicht nur in DefunktGestalt bombastbefreiter Gitarrenrocker, sondern wurde vor allem auch von der ansässigen jungen Avantgarde-Szene aufgegriffen. No Wave war das Schlagwort, unter dem sich unterschiedlichste Musikanten wie Lydia Lunch, Glenn Branca (aus dessen Gitarren-Armee später SONIC YOUTH hervorgingen) oder James Chance subsumieren ließen. Letzterer stand auch immer mit einem Bein im Jazz, im Funk und außerdem der Disco-Bewegung nahe (nur ein scheinbarer Widerspruch zum Punk) – die erste Besetzung von DEFUNKT rekrutierte sich aus Mitgliedern von Chance’s Band JAMES WHITE AND THE BLACKS.

DefunktJoseph Bowie, Gründer, Sänger und Posaunist von DEFUNKT, stammt ursprünglich aus St. Louis (ebenso wie der Gitarrist Kelvyn Bell, wie Bowie in „Das Bett“ mehrmals betonte) – seine älteren Brüder Byron (Saxophon) und vor allem Lester Bowie (Trompete) spielten auch mal bei DEFUNKT, gerade letzterer machte sich jedoch einen Namen als Leiter des ART ENSEMBLE OF CHICAGO und spielte mit diversen Formationen häufig auf dem Jazz-Festival in Frankfurt.

DefunktJoseph Bowie (r), DEFUNKT, 1988, Batschkapp, Frankfurt

Bei DEFUNKT musizierten im Verlauf der letzten 40 Jahre sehr viele großartige Künstler (am bekanntesten sicherlich Vernon Reid von den Ende der Achtziger durchstartenden LIVING COLOUR); beim gestrigen Konzert waren auch einige, Defunktmit denen er schon sehr lang die Bühne teilt. Da wäre zum Beispiel die Bassistin Kim Clarke (Bowie: „The first lady of Funk!“), 1988 und 1992 auch schon in Frankfurt dabei, die in DEFUNKT-freien Zeiten eine Combo namens MAGNETS führt und bei einer Big Band namens KIT McCLURE BIG BAND spielt, zu der ausschließlich Frauen gehören.

DefunktKim Clarke, DEFUNKT, 1988, Batschkapp, Frankfurt

Oder Trompeter und MC John Mulkerin, dessen eigene Band LIQUID HIPS häufig durch Europa tourte, der aber auch schon bei Aufnahmen der Crossover-Punks MURPHYS LAW zugegen war oder Koryphäen wie William Parker oder DefunktPee Wee Ellis unterstützte. Gitarrist Bell erlebte ich zum ersten Mal bei DEFUNKT, seine Funkrock-Formation KELVYNATOR gastierte in der Vergangenheit bereits im Aschaffenburger Colos-Saal. Schlagzeuger Garry ‚G-Man‘ Sullivan hat mit seinem Eintrag bei der Encyclopaedia Metallum und durch seine Mitgliedschaft bei den CRO-MAGS am meisten Punk-Credibility, ist aber auch auf Alben der Hamburger Songwriterin Nneka zu hören.

DefunktJohn Mulkerin, DEFUNKT, 1988, Batschkapp, Frankfurt

Ich war überrascht, dass „Das Bett“ am Ende dann doch soo gut gefüllt war – im Gegensatz zu meinem letzten Besuch dort sah ich zufriedene Gesichter bei den Veranstaltern, der Vorverkauf lief wohl ziemlich zufriedenstellend.

DefunktMehr als zufriedenstellend war auch der Auftritt, der denen von 1988 und 1992 in nichts nachstand. Im Mittelpunkt des Konzerts standen einmal mehr die frühen Alben, allen voran der Meilenstein von 1982, „Thermonuclear Sweat“. Die Platte klingt genauso, wie sie heißt. Aber auch der erste DEFUNKT-Song überhaupt, „Make Them Dance“, wurde gespielt. Im Unterschied zu denen gängiger Rock-Formationen klingen Stücke solcher Jazz-beeinflussten Bands wie DEFUNKT sowieso jedes Mal anders – das von „Thermonuclear Sweat“ dargebotene „Avoid the Funk“ (Videoclip dazu weiter unten) brachte es gestern auf stolze 13 Minuten, viereinhalb sind es auf dem Tonträger.

DefunktBass und Schlagzeug beschränkten sich dabei meist auf das musikalische Fundament, solistisch brillierten die zwei Blechbläser und vor allem Kelvyn Bell an der Gitarre. Und was der Mann da auf seinem Griffbrett riss war hochgradig beeindruckend – gleichermaßen lärmig und groovend, brachial und tänzelnd, exzessiv oder zurückhaltend. Kein Metalgitarren-Solo klingt so wie das, was Bell grinsend Defunktin die Menge feuerte – hart war das aber trotzdem. Ohne den groovenden Überbau hätten das einige wahrscheinlich als Kakophonie empfunden, vielleicht taten das einige auch.

Brachialgezupfe und Geschredder im tanzbaren Korsett, an Stillstehen war nicht zu denken, Fotos machen hin oder her. Und Joseph Bowie? Von seinem Geschlurfe am Stock war nichts mehr zu merken, den größten Teil des fast zweieinhalbstündigen Sets tanzte und zuckte er wie ein ADHS-Schüler. Den Stuhl, den man für ihn an den Bühnenrand stellte, schob er sofort bei Konzertbeginn auf die Seite und benutzte ihn nur einmal, kurz vor der Zugabe, als Mulkerin ein längeres Solo blies. Auch Clarke nutzte ihren Hocker selten.

Dazwischen wie immer die witzigen Ansagen Bowies – jede Menge Trump-Bashing war dabei (nachvollziehbar), ein bisschen was Autobiographisches – und die eine oder andere Zote hat der alte Womanizer auch noch 2018 auf Lager. DefunktKurz – das war ein so unfassbar großartiger Abend, dass ich jetzt schon erwarte, diesen in den Jahrescharts in zwölf Monaten nochmal zu erwähnen. Vielleicht tut uns das Kollektiv ja den Gefallen und spielt in der Zwischenzeit nochmal in der Region (wie zum Beispiel am 22. Januar in Wetzlar), denn, es ist wirklich die Wahrheit: Die Alten, die können es noch.

Links: http://josephbowie.com/defunkt, https://www.facebook.com/Defunkt80s, https://defunkt.bandcamp.com/, http://josephbowie.com/, http://johnmulkerin.com/, https://www.last.fm/music/Defunkt

Text, Fotos & Clip: Micha

Alle Bilder:

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