ALGIERS

Zoom, Frankfurt, 26.02.2018

AlgiersWenn eine Band einfach nur großartig ist, ist das doch schon eine ganze Menge. Nicht nur subjektiv gesehen, sondern wegen ihres recht einzigartigen Sounds. Wenn dann noch ein Anliegen hinzu kommt, eine Botschaft – noch dazu eine, die das herrschende System anklagt, lyrisch Finger in Wunden legt, auf Missstände hinweist und dem Hörer dabei nicht nur auf die Schulter klopft, sondern auch mit diesem einen Diskurs anregt – nun, dann haben wir es in der Regel mit einer besonderen Band zu tun. Eine, die nicht von allen oder vielleicht sogar von kaum jemandem verstanden wird, aber zum Nachdenken anregt. Und dabei Positionen provoziert, die sich stark unterscheiden. Der Abend mit ALGIERS aus Atlanta/Georgia im Frankfurter Zoom war einer, der kontroverse Positionen provozierte. Allerdings, so mein Eindruck, weniger bei der Vorband.

Jupiter-CJUPITER-C nennt sich das Duo aus London. „Kylie Minoque trifft die SWANS“ wird zu diesen im Quietus fabuliert – eine Frechheit, Kylie und den SWANS gegenüber. Scheinen mit ALGIERS, die sich trotz ihrer gemeinsamen Homebase Atlanta in London gründeten, befreundet zu sein. Halten sich vielleicht sogar für ähnlich grenzüberschreitend. Sind sie aber nicht.

Jupiter-CEighties-mäßige Dark Wave-Beats mit Hall und gelegentlicher eruptiver Gitarre. Dazu eine Sängerin, die sich Mühe gab ein Maximum an Kühlschrank auszustrahlen. Was Ashiya Eastwood und David Kane da feilboten, war weit davon entfernt sich mies anzuhören, allerdings auch nichts Besonderes. Auf ihrer Facebook-Seite schreien JUPITER-C die Besucher an und befehlen, ihre Platte zu kaufen. Ich war so nett, sie einmal online anzuhören. Das reicht, finde ich. Eine Dreiviertelstunde hielten sie sich auf der Bühne auf und ernteten einen Achtungsapplaus. Dann kamen sofort die Kollegen von ALGIERS und bauten zusammen mit JUPITER-C um.

Mit ihrer Irrelevanz bildeten JUPITER-C einen krassen Kontrast zum Headliner, aber die Mitglieder beider Formationen werden ähnliche Platten im Schrank haben. Platten von den SWANS, zum Beispiel. Oder von den EINSTÜRZENDEN AlgiersNEUBAUTEN. Blixa Bargeld ist zumindest zu sehen im Video zu „Blood“, der Single vom ALGIERS-Debüt aus dem Jahr 2015. Unter anderem auch Gil Scott-Heron, PUBLIC ENEMY, Martin Luther King, John Lennon, Malcolm X, John Coltrane, Iggy Pop, Richard Pryor, Sergio Leone oder Serge Gainsbourg. Und noch viele mehr. Alles Querköpfe, Innovatoren und Revolutionäre. In dieser Tradition verstehen sich wohl auch ALGIERS – musikalisch, kulturell, politisch. Allerdings kaum Frauen dabei, fällt auf.

In „Blood“ beschreibt Sänger und Multiinstrumentalist Franklin James Fisher, wie ihm selbiges überkocht beim Gedanken an die Resignation seiner Mitmenschen und den fehlenden Antrieb zur Revolte. Gründe genug dafür gibts Algiersja, in „Cleveland“ (vom zweiten, aktuellen Album „The Underside of Power“) werden einige genannt, wenn Fisher die Namen von ermordeten Schwarzen aufruft und der Gospel-Chor „We’re coming back“ antwortet. Überhaupt, der Gospel: Mindestens genauso wichtig in der musikalischen Melange von ALGIERS wie der beschriebene Post-Punk ist Gospel.

AlgiersIm Visions wird da schon eine Welle gesehen, mit ZEAL & ARDOR hatten wir ja schon mal so etwas hier im Blog. Inhaltlich gibt es da aber keine Paralellen. ALGIERS sind gegenwärtig wie kaum eine andere Combo, ZEAL & ARDOR flanieren im bösen Märchenland und sind damit reiner Eskapismus. Auch toll.

Toll reicht aber nicht bei ALGIERS, findet zum Beispiel der Rezensent der Frankfurter Rundschau, der hier einige interessante Gedanken formuliert hat darüber, wie sich eine revolutionäre Band eben nicht zu verhalten hat. Der fand RAGE AGAINST THE MACHINE live wahrscheinlich auch Scheiße. Die Kollegen vom Spex setzen da noch einen drauf mit ihrer Verteufelung der Gitarre als Phallus-Symbol (hier). Als Schreiber eines Rock-Blogs sehe ich das natürlich anders, finde die Gitarre-Phallus-Gleichsetzung völlig blöde und hoffe, dass Franklin James Fisher und Gitarrist Lee Tesche mir darin zustimmen. Sonst wüsste ich Algierswirklich nicht, warum die sich solche Mühe geben, ihr Instrument so ekstatisch zu malträtieren.

Und ekstatisch ging es um Punkt 22 Uhr los, knapp eine Stunde lang: Fisher und der Bassist/Keyboarder/Soundabrufer Ryan Mahan sind sofort hoch energetisch unterwegs und gehen dementsprechend ab – ja klar, Fisher schreit dabei gegen das Übel der Welt an, aber tanzbar ist das nun mal trotzdem, wo ist das Problem? Die Live-Shows der frühen RAGE AGAINST THE MACHINE gehörten zum Beeindruckendsten, das ich je auf einer Bühne erlebte – und Zack de la Rocha sang auch nicht von Blümchen und Bier trinken. Mahan steht ständig unter Strom, springt über die kleine Balustrade ins Publikum und Algiersfeiert mit, Fisher tut es ihm später gleich und badet singend in der Menge, die den Club nicht komplett ausfüllt. Der Support-Slot für DEPECHE MODE, z. B. in Frankfurts Fußballarena, hat anscheinend marktstrategisch nicht wie (vielleicht) erhofft eingeschlagen.

Nach einer Stunde flackert öfter mal das Licht, ob das Absicht ist oder ein Versehen, bleibt unklar. JUPITER-C dürfen noch mal mit auf die Bühne. Unterm Strich wird hier fast 90 Minuten gefeiert, ja, gefeiert. Aggressiv und mit Phallus-Symbol. Innovativ und traditionell. Gegenwartsbewusst und selbstvergessen. Was für eine großartige Band, die so vieles bei den Menschen auslösen kann.

Links: http://www.jupiter-c.co.uk/, https://www.facebook.com/jupitercuk, https://soundcloud.com/jupiter-c, https://www.last.fm/de/music/Jupiter-C, http://algierstheband.com/, https://www.facebook.com/Algierstheband/https://algierstheband.bandcamp.com/, https://www.last.fm/music/Algiers

Text, Fotos & Clip: Micha

Alle Bilder:

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