ANTI VIGILANTE & LEFTÖVER CRACK

Au, Frankfurt, 29.07.2013

„Ach wie gut, dass niemand weiß“, heißt es in dem bekannten Märchen der Brüder Grimm, „dass ich Rumpelstilzchen heiß!“. Ihr werdet es mir kaum glauben (außer Ihr seid selbst dabei gewesen), aber gestern abend habe ich gleich mehrere davon gesehen. Die tanzten zwar nicht des Nachts um ein Feuer herum, dafür aber im Halbdunkeln auf einer Bühne. Und den Vergleich mit der Grimm’schen Phantasiegestalt meine ich gar nicht abwertend, sondern eher bewundernd. Die Rede ist von Sänger Josh (rechts) und Bassist Gareth von der Gruppe ANTI VIGILANTE. Das Quartett, komplettiert durch Sean (Gitarre) und Darren (Schlagzeug), stammt aus Milton Keynes in England und trat als Support von LEFTÖVER CRACK in der Frankfurter Au auf.

Zuerst ein paar Worte über Josh. Er ist einer jener Frontmänner, bei denen es definitiv Spaß macht, zuzusehen: Ständig in Bewegung, entweder springend, wie ein Boxer vor der ultimativen Attacke tänzelnd oder einfach auf der Stelle

rennend, diesen Workout nur unterbrechend durch pathetische Gesten oder Kung Fu-Tritte (erinnerte an die einst an gleicher Stelle großartig aufspielenden Maskenmänner von GUERILLA). Eine klasse Stimme hat er und spielt dazu noch – Saxophon. Das wiederum passte, so ein Zufall, wie Arsch auf Eimer zum Sound der Band, dem so genannten Ska-Core: Schnelle, tanzbare Ska-Rhythmen wechselten bei der Mehrzahl der ANTI VIGILANTE-Tracks im Minutentakt mit schweren, aggressiven Hardcore-Riffs. Eine Mischung, ähnlich der des späteren Headliners, und nicht minder mitreißend.

Spätestens ab Song drei, „Go Outside and Play“ (einem ihrer besten), löste sich der berüchtigte Frankfurter Kreis vor dem Podest in Wohlgefallen auf und die

Menge kam ins Rollen. Stücke wie „Skoliver“, „Create The Fear“ und „400 Species Can’t Be Wrong“ sorgten dafür, dass sich die Temperatur im Keller schnell der einer finnischen Sauna annäherte (der Siedepunkt wurde dann später noch bei LöC erreicht). Das Publikum feierte die Briten begeistert ab, woraufhin sie sich nach längerem Zögern doch noch zu einer kurzen Zugabe hinreißen ließen.

Zum Schluss folgte noch der Hinweis, dass sie eine arme Band seien, und man deshalb Tonträger von ihnen erstehen sollte. Nach diesem fulminanten Auftritt müssten einige Exemplare über den Merchtisch gegangen sein. Ich ärgere mich im Nachhinein, dass ich es im Anschluss an die Show in all dem Trubel im wahrsten Sinne verschwitzt habe. Mea culpa.

ANTI VIGILANTE – eine sehr spannende Combo von der Insel, die es zwar schon seit 2004 gibt, die aber wohl nicht nur mir bisher noch nicht über den Weg gelaufen war. Sie spielt im August weitere Shows mit LEFTÖVER CRACK und Ende des Monats drei Gigs mit DOWNSET, was ja auch kein schlechtes Package ist.

Im Line-Up der nun folgenden LEFTÖVER CRACK aus New York City traf man (erwartungsgemäß) auf einen alten Bekannten, nämlich Scott Sturgeon alias STZA, der bei den STAR FUCKING HIPSTERS (Bericht dazu hier) an der Gitarre

zu hören ist und bei LöC den Sänger gibt. Außerdem auf einen neuen Bekannten in Person des Gitarristen Sean, der gerade vorher mit ANTI VIGILANTE auf der Bühne gestanden hatte.

Zuerst wieder einige Worte zum Frontmann, denn einiges kam mir diesmal seltsam vor: Dass er das Publikum bat, auf das Rauchen zu verzichten, erschien mir noch halbwegs plausibel, denn die Luft war eh schon zum Schneiden. Die Begründung, dass der Rauch ihn „ermüde“, erstaunte allerdings (hallo, eine Hardcore-Show mit der Lautstärke und der Action macht müde, weil geraucht wird?). Folgerichtig schnappte er sich auch die angezündete Fluppe, die ihm ein Youngster entgegenstreckte, um sie auf der Bühne auszutreten – wobei

der junge Kerl wohl noch Glück hatte, denn andere hätten ihm für die dreiste Provokation den Glimmstängel auf der Backe ausgedrückt. Aber vielleicht hatte das Kid auch nur im Englisch-Unterricht nicht aufgepasst und dachte, alle anderen hätten ihre Kippen zuhause vergessen.

Außerdem wies STZA die Gäste an, ihre Bierflaschen nicht auf dem Podest zu parken, „denn die könnten ja umfallen“ (es wäre wohl nicht das erste Mal, dass sich ein wenig Gerstensaft auf die Bretter der Au-Bühne ergießt und ich kann mir bei weitem Schlimmeres vorstellen). Um seinem Willen Nachdruck zu verleihen, verschenkte er die Pullen, die nach kurzer Wartezeit nicht abgeholt worden waren, flugs an die ersten, die ihre Hände nach oben reckten. Was soll’s, vielleicht entwickelt der Sänger ja mit zunehmendem Alter auch die ein oder andere Marotte.

Als wirklich störend empfand ich allerdings, dass zwischen vielen Songs lange Pausen durch langatmige Ansagen entstanden. Wenn denn dabei auch Interessantes vermittelt worden wäre, dann ginge das ja in Ordnung, aber dem war leider nicht so. Einmal sinnierte der Frontmann sogar allen Ernstes, ob das Publikum es „verdient“ habe, dass dieser oder jener Song gespielt würde; und das kann ich ja gar nicht ab. Entweder hat er Bock, das Stück zu bringen oder nicht, dann soll er es lassen. Aber ich will mir kein Lied verdienen müssen. Hoffentlich war’s scherzhaft gemeint, kam aber nicht so rüber. Ich hatte mehr den Eindruck, dass er an diesem Abend lieber mal den allmächtigen Zeremonienmeister spielen wollte.

Witzig am Rande: War STZA vor fast genau einem Jahr während seines Auftritts mit den Hipsters noch amüsiert über die Kreativität des Au-Publikums, weil ständig Seifenblasen auf die Bühne gepustet wurden, hatte diesmal jemand in blau oder grün leuchtende LED-Lichter dabei. Diese kleinen Leuchtpunkte wurden im Publikum hin und her geworfen, landeten aber nicht selten auf der Bühne. Das nahm der Sänger zum Anlass, alle aufzusammeln (wieder ne lange Pause) und einzustecken. Was ihm eine lustig leuchtende Hosentasche bescherte. Er warf die LED’s übrigens später allesamt zurück ins tobende Volk.

Der Gig an sich war wieder ansprechend, die Melange aus Crust-Punk, Hardcore-, Metal- und Ska-Elementen ist nach wie vor packend, und wer das konditionell draufhatte, konnte sich einige Kilo Speck von den Rippen tanzen. Sogar Crowdsurfer gab’s, was in der Au aufgrund der niedrigen Decke ja eine besondere Herausforderung darstellt. Der einzige, den ich schon wesentlich agiler gesehen habe (zuletzt 2007 im Exzess), war STZA. Ob der durch mehrere hundert Shows, die Squatter-Szene des Big Apple und die Scharmützel mit dessen Ordnungshütern erprobte Frontmann alle Kräfte beieinander hatte oder gesundheitlich angeschlagen war, ist rein spekulativ; die Bitte, nicht zu rauchen und die ausgedehnten Pausen zum Durchschnaufen lassen aber letzteres vermuten.

Im übrigen finde ich, die Band könnte mal wieder ein paar neue Songs raustun. Zwei LP’s, eine EP und ein Split- Album sind nicht gerade ein exzessiver Output in 13 Jahren Bandgeschichte. Aprospos Historie: Interessant verspricht ein Film des Regisseurs Christopher J. Ryan zu werden, der im Herbst veröffentlicht werden soll. Er heißt „Passion of Crust“ und dokumentiert den Werdegang von LEFTÖVER CRACK zwischen 2000 und 2012 (den Trailer dazu seht Ihr hier).

Links: http://www.myspace.com/leftovercrackofficial, http://www.lastfm.de/music/Leftöver+Crack, http://leftovercrackthemovie.com/, http://www.antivigilante.co.uk/, https://myspace.com/antivigilante, http://www.reverbnation.com/antivigilante, http://www.lastfm.de/music/Anti-Vigilante

Text: Stefan / Fotos: Frank

Mehr Bilder:


Kommentare deaktiviert für ANTI VIGILANTE & LEFTÖVER CRACK

Filed under 2013, Konzerte

Comments are closed.