RAZZIA & DER REST

Exzess, Frankfurt, 4.11.2017

RazziaNach etlichen Jahren ließ sich die legendäre deutsche Punkband RAZZIA mal wieder für einen Auftritt in Frankfurt sehen – und das auch noch in der Urbesetzung um Frontmann Rajas Thiele (links), die in den Achtziger Jahren wegweisende Tonträger wie „Tag ohne Schatten“ und „Ausflug mit Franziska“ veröffentlicht hatte. Ursprünglich war das Konzert bereits für Anfang April im Exzess angesetzt, doch aufgrund eines Bänderrisses des Lead-Gitarristen konnte der Nachholtermin erst gestern stattfinden.

Vor dem durch RAZZIA zu erwartenden Spektakel hieß es erst einmal, den imaginären Vorhang für die ebenfalls in Hamburg beheimatete Formation DER REST aufzuziehen. Das Trio scheint das Rhein/Main-Gebiet zu mögen, ist es Der Restdoch in der näheren Vergangenheit u. a. mehrfach im Offenbacher Waggon, außerdem im Frankfurter Club „Das Bett“ (Support für FRONT LINE ASSEMBLY) und in der Kreativfabrik in Wiesbaden (gemeinsam mit PANIKRAUM) aufgetreten. Ich sah die Shows 2016 und 2017 im kleinen Waggon, das passte perfekt, und war nun gespannt, ob die düsteren, post-punkigen Songs auch in der großen Halle des Exzess vor mehreren hundert Zuschauern funktionieren würden.

Kreativer Kopf von DER REST, gegründet 1999 und seither einigen Wechseln im Line-up unterworfen, ist von Anfang an der umtriebige Philipp Taraz, der sich auch schon im Filmgeschäft als Regisseur von Musikvideos und Kurzfilmen Der Restsowie als Produzent einige Sporen verdient hat. Dem Sänger und Gitarristen zur Seite steht Jeannine Max am Bass, komplettiert wird das Trio durch eine in den vergangenen Jahren wechselhafte Besetzung am Schlagzeug. Die drei präsentierten im sich stetig weiter füllenden Saal unter anderem sechs oder sieben Stücke des aktuellen Albums „Therapie für alle“, das wie alle Vorgänger (drei Langspieler und eine EP) ausschließlich deutsch gesungene Songs enthält.

Und sie machten ihre Sache gut: Stücke wie „Deine Seele ist mein Bett“ und „Wir wollen den Horror“ sind schmissig, haben trotz latenter Grundaggressivität Charme und sind absolut tanzbar. Mir gefällt die Combo ausnehmend gut Der Restund damit stand ich nicht allein auf weiter Flur der Exzess-Halle: Trotz aller Vorfreude auf RAZZIA gab es etliche, die den Gig interessiert verfolgten oder sogar vor dem Podest die Glieder schüttelten. DER REST hatte seine Mission erfüllt. Wenig später stand der Headliner auf dem Programm, und für die Review von dessen Auftritt reiche ich den Staffelstab der Berichterstattung weiter an meinen Kollegen Todde.

Textlich anspruchsvoll und intelligent, fit an den Instrumenten und musikalisch weit über die gängigen 1,2,3,4-Punksongmuster hinausgehend – das ist es, was RAZZIA für mich immer ausgezeichnet hat. Entsprechend groß war deshalb die RazziaFreude, dass die Band, die in den Achtziger Jahren meine Sozialisation geprägt und zunächst den Soundtrack der Jugend und später den des Erwachsenwerdens geliefert hatte, in Urbesetzung mal wieder in Frankfurt spielen sollte. Doch was den Reiz von RAZZIA (und ich meine hier nur die erste Formation bis ca. 1992) ausmacht, sollte sich in meinen Augen jetzt bei ihrem Auftritt im Exzess als ein wenig problematisch herausstellen: Die ersten Stücke plätscherten so dahin, alles wirkte etwas drucklos, seltsam zerfasert und verhalten, hinzu kamen Soundprobleme und eine Song-Auswahl, die sich möglicherweise zu sehr an dem Postpunk-Stil der Vorband DER REST orientiert hatte. Mit „Im Weg“ eröffneten die Hamburger Razziaihren Gig. Es folgten „Selbstgespräch unter vier Augen“, „Fahnensog“, „Fliegen lieb“, dazwischen ein neuer Track namens „Straßen der Krähen“. Natürlich sind das alles prima Lieder, die aber ihre Wirkung besser auf Vinyl entfalten und zu sperrig und wenig eingängig sind, als dass sie, Stimmungsraketen gleich, mit dem ersten Ton den Funken zum Publikum richtig überspringen lassen könnten.

RazziaDabei war am gestrigen Abend eigentlich alles bereitet: ein volles Exzess, großes Hallo mit alten und neuen Bekannten, ein buntes, generationenübergreifendes Publikum, das großen Bock auf das Konzert hatte und ein Support-Act, der schon für gute Stimmung und Bewegung vor dem Podest gesorgt hatte. Hinter der RazziaBühne prangte ein riesiger roter RAZZIA-Schriftzug im Artwork der ersten LP „Tag ohne Schatten“. Eigentlich genug Fingerzeig, zumal die Band ja auch über ein so umfangreiches Repertoire verfügt, das ihr sicher zu einem dynamischeren Auftakt verholfen hätte. Auch wenn Sänger Rajas vom ersten Ton an auf der Bühne unterwegs war wie eh und je, erfüllten RAZZIA die (vielleicht zu) hohen Erwartungen zunächst nicht.

RazziaNatürlich sind die Jahre nicht spurlos an den fünf Herren aus dem Norden der Hansestadt vorbeigegangen. Die damals dunklen oder teilweise blondierten Haare sind inzwischen lichter geworden und grau meliert, aber das sind sie bei Teilen des Publikums auch. Klar haben sich die Zeiten geändert, vorbei sind die Achtziger, in denen RAZZIA neben NEUROTIC ARSEHOLES und BLUT & EISEN zu den angesagtesten Vertretern der Szene gehörten. Alles engagierte Bands, die sich trotz ihres Kultstatus nicht zu schade waren, auch in den kleinsten Jugendzentren des Landes für Spritkohle, Freibier und die gute Sache an sich die Hütte einzureißen.

Wie zum Beispiel in einer kalten Januarnacht im Jahr 1988 in der Nordheide während eines gemeinsamen Auftritts mit meiner damaligen Band. Rock gegen Rechts im JUZ in Tostedt. Draußen eine neblig-kalte Stimmung wie auf dem Foto auf der Cover-Rückseite von „Ausflug mit Franziska“, drinnen die Razziaschweißtreibende Pogo-Party. RAZZIA waren nach den beiden großartigen Support-Acts FLOWER BUDS und A-GEN (53) – jetzt dürft Ihr mal raten, in welchem der Verfasser dieser Zeilen gespielt hat – natürlich die Abräumer des Abends und das vom ersten Ton an. Mit Klassikern wie „BRD & Co KG“, „Neonazi“, „Am nächsten Tag“ (von ihrer ersten LP) und „Sentimentaler Zusammenbruch“ (Ausflug mit Franziska) stürmte die Combo damals durch ein grandioses Set.

RazziaNun, fast 30 Jahre später, hat mich RAZZIA erst nach etwa der Hälfte ihres Sets mitgenommen, als endlich die zeitlosen und stilprägenden Klassiker wie „Kaiserwetter“, „Nacht im Ghetto“, „Kranke Geister, kranke Leiber“, „Schatten über Geroldshofen“ und „Als Haus wärst du ’ne Hütte“ gespielt wurden. Da war der Sound deutlich besser, da war das Zusammenspiel tighter und da waren wieder diese RazziaRAZZIA-typischen Gitarren-Harmonien. Das Publikum dankte es mit Konfetti-Regen. Salven von Papier-Schnipseln flogen auf die Bühne und davor wurde ausgiebig getanzt. Mit „Söldner“ und „Arsch im Sarge“ gab’s dann noch zwei weitere Hits als Zugabe, bei denen Rajas den direkten Kontakt mit dem Mob suchte und gemeinsam mit etlichen Gastsängern die Refrains ins Mikro brüllte – bis um kurz nach Mitternacht endgültig Schicht war.

RazziaEs bleibt hypothetisch, wie der Abend mit einer anderen Song-Auswahl zu Beginn verlaufen wäre, etwa mit „BRD & Co KG“ oder „Kriegszustand“ (das fiel wohl der fortgeschrittenen Zeit zum Opfer, denn es war als  Zugabe auf der Setlist vermerkt) als Opener und weiteren Stücken der ersten beiden LPs. Es hätte eines der Konzert-Highlights des Jahres werden können, wie zum Beispiel der RATTENGOLD-Auftritt in der RazziaKasseler Goldgrube. Jens Rachut und Gitarrist Andreas Ness haben sich extra wieder zusammengetan, um die alten Klassiker von ANGESCHISSEN, BLUMEN AM ARSCH DER HÖLLE, DACKELBLUT, DAS MOOR und OMA HANS zu spielen. Auch da war nicht alles Gold was glänzte, der Sound bisweilen dürftig und es fehlte mancher Hit auf der Playlist. Aber es ging deutlich schneller zur Sache und die RazziaBand lieferte schon nach den ersten beiden Songs ordentlich ab. RAZZIA hingegen ließen mich etwas zwiegespalten zurück. Einem holprigen Start folgte eine gute zweite Hälfte, gepaart mit der Vorfreude auf ein neues Album, das im nächsten Jahr erscheinen soll. Die drei gespielten Tracks machten jedenfalls Bock auf mehr und klangen zum Glück sehr „back to the roots“.

Links: https://de-de.facebook.com/derrest/, https://www.last.fm/de/music/Der+Rest, http://razzia.info/, http://www.last.fm/de/music/Razzia

Text (Razzia) & Fotos: Todde Sindel, https://www.flickr.com/photos/126331662@N02/
Text (Der Rest): Stefan / Clip: aufgenommen am Konzertabend von rokylugosi

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