THE OCEAN & DER WEG EINER FREIHEIT

Schlachthof, Wiesbaden, 24.02.2014, Colos-Saal, Aschaffenburg, 25.02.2014

Alles fließt. Nichts bleibt stehen. Dinge ändern sich. Das ist auch so in der Kultur. In der Rockmusik. Und sogar in Genres, denen das Stigma der Beständigkeit, wenn nicht sogar übersteigerter Konservativität anhaftet. Genres wie dem Heavy Metal. Was, wegen der ganzen Feuchtigkeit in der Allegorie, ein supertoller Einstieg in einen Bericht über die Progressive Metal-Band THE OCEAN (rechts) sein könnte, ist es indes nur halb: THE OCEAN hatte ich vor den beiden hier erwähnten Konzertabenden noch nie Beachtung geschenkt. Nicht mit Absicht: Zur Kenntnis genommen, dass es sie gibt, hatte ich durch zahlreiche Berichte in Postillen wie Visions, Rock Hard, usw. schon – ich kam aber noch nicht dazu, mich mit ihnen zu beschäftigen, ganz wertfrei.

Anders bei dem Support DER WEG EINER FREIHEIT: Die seit 2009 herum geisternden Würzburger hatten meine Aufmerksamkeit relativ früh. Nicht nur, weil sie Black Metal spielen (gegenwärtig meine favorisierte Metal-Spielart), sondern vor allem, weil sie anderen Black Metal spielen. Weiter entwickelten, sehr eigenen Black Metal, der sehr von sogenannten Post Rock-Bands beeinflusst ist und textlich dabei Aussagen offeriert, die für den einen als relevante Depressionslyrik, für andere als pubertierende Nabelschau gelten mögen. Ich persönlich kann (als bekennender Lyrik-Muffel) mit den Texten der Jungs nicht viel anfangen, registriere aber anerkennend die Tatsache, dass ich mir hier, ungleich manch anderer BM-Faves von mir, keine Sorgen machen muss über eine menschenverachtende, elitäre oder gar faschistoide Ausrichtung.

Böse Zungen sprechen bei solchen BM-Bands von „Hipster Black Metal“, weil die sogenannte „Gefährlichkeit“ des Genres hier unterwandert wird von stilistischer Offenheit und Hang zur (Selbst)-Reflexion und die Künstler meist

vor studentischem Fanvolk auftreten. Nun, bei aller Liebe zu einigen „Trve“-BM-Bands: Hier fühle ich mich 1000x wohler als unter Menschen, die sich offen zu Combos wie BURZUM bekennen, egal wie musikalisch hochrangig die auch sein mögen. Diesen offenen, genreerweiternden Ansatz teilen DWEF mit dem Headliner THE OCEAN (links), die aus einer anderen Spielwiese des harten Rocks stammen.

Als ein in Frankfurt lebender, autoloser Mensch konnte ich mir aussuchen, ob ich am 24. Februar den Wiesbadener Schlachthof beehre oder einen Tag später den Colos-Saal zu Aschaffenburg. Beide Reisen haben Vor- und Nachteile, weswegen ich mich dazu entschloss, den direkten Vergleich zu wagen und beide Orte aufzusuchen.

Wiesbaden, 24. Februar:
Ein enormer Vorteil des Schlachthofs im Vergleich zum Colos-Saal ist die Tatsache, dass der Fahrpreis im Ticket enthalten ist – bei Nutzung des Vorverkaufs entfallen die Reisekosten nach Wiesbaden

also schon mal komplett. Sehr schön. Auf dem Hinweg habe ich noch das Glück, einen dieser privaten Nachfahren des Regionalexpress nutzen zu können, die seit einiger Zeit die Strecke nach WI befahren. Bequem und flott geht es mit nur zwei Zwischenstopps ans Ziel, das Schlachthof-Gelände ist dankenswerterweise ja in der direkten Nachbarschaft des Bahnhofs beheimatet.

Sehr viel intellektuelles Publikum stapft gen Halle und ich mache mich mit dem Gedanken vertraut, einen voll gestopften Laden vorzufinden, indem ich sowieso keine Fotos machen kann (in diesem Fall wäre das ein Pluspunkt für den Colos-Saal, weil größer und mit besserer Sicht auf die Bühne als die Räucherkammer), aber die hier aufmarschierenden „Hipster“ gehen fast alle in die Haupthalle, in der an diesem Tage THE NOTWIST gastieren (was auch eine sehr schöne Alternative gewesen wäre, nebenbei). Die Räucherkammer ist gut gefüllt, aber luftig, was gut ist für mich und die anderen Fotografen. Mir ist nach einem Bier. Es gibt das von mir verabscheute Becks, aber auch eine gute Weizensorte.

Als die Bühne stimmungsvoll illuminiert wird und DWEF loslegen, stelle ich mein Bier auf den Tresen und schaue durch das Objektiv

meiner Kamera, die ich problemlos und dankenswerterweise in den Laden reinbekommen habe (das wäre in der Haupthalle oben nicht möglich gewesen). Es geht los mit „Zeichen“ von dem neuen Album „Unstille“. In der folgenden Stunde werden drei Stücke des Tonträgers gegeben, das Live-Quartett (streng genommen besteht die Band nur aus zwei kontinuierlich mitwirkenden Menschen, nämlich Nikita Kamprad (der für Bass, Gitarre, Lyrics und mittlerweile auch Gesang verantwortlich ist) und Drummer Tobias Schuler; Gitarrist Sascha Rissling und Bassist Giuliano Barbieri sind die kompetenten Live-Begleiter) haut aber noch einen Song des Debüts, was von der „Agonie“ und ein ganz neues Stück namens „Letzte Sonne“ raus. Eine Stunde lang extrem großartiger Wall of Sound, ein Malstrom zum Bangen und zum Niederknien, absolut fantastisch. Alles, was jetzt noch kommt, ist das Zuckerli nach dem Hauptgang für mich.

Nach einem disziplinierten und raschen Umbau versinkt die Räucherkammer in blau-grüne Fluten: THE OCEAN sind am Start und präsentieren ihre komplexen und doch sofort ins Ohr gehenden Nummern, die alle einem gut

durchdachten Konzept folgen, welches mir als Unkundigem erst mal schnuppe ist; ich will nur überzeugt werden, dass sich das Verweilen lohnt. Sänger Loïc Rossetti (rechts) nutzt die niedrige Decke der Räucherkammer für hardcore-lastige Turnübungen, was einen netten Kontrast bietet zur vertrackten Schwerstarbeit der Instrumentalisten auf der Bühne.

Nach Studium der Setlist und nachträglichem Hören weiß ich mittlerweile, dass THE OCEAN ihr neues Album „Pelagial“ mehr oder weniger durchgespielt haben. Meine Musik ist das nur teilweise – geht die „progressive“ Songstruktur bei mir persönlich noch als interessant, aber stimmungsabhängig durch, so mag ich diesen, im „New Metal“ stark verbreiteten Mix aus Gegrowle und Klargesang nicht sonderlich, aber das ist bekanntlich Geschmackssache. In jedem mir bekannten THE OCEAN-Song gibt es Fragmente, die ich spannend finde und solche, die mich anöden. In Wiesbaden etwas schneller, weswegen ich nach knapp 45 Minuten zur Bahn marschierte.

Die Rückfahrt in der S-Bahn (Regionalzüge verkehren um diese Uhrzeit nicht mehr) war nochmal übelster Stress, weil fast eine Stunde dauernd mit etlichen Stopps alleine in Mainz. Das Einnicken im Zug ließ sich kaum vermeiden, zum Glück füllte sich der Wagen am Flughafen Frankfurt so lautstark, dass ich meinen Haltepunkt nicht verpasste und in Hanau landete.

Aschaffenburg, 25. Februar:
Kam ich gestern aufwändig, aber günstig zum Ziel und zurück, so ist das heute mit mehr Mühe und Kosten, aber auch mehr Bequemlichkeit verbunden. Der letzte Zug von A’burg nach Frankfurt fährt gegen halb zwölf und ist ein ICE, das

kostet und ist natürlich nicht im Ticketpreis inbegriffen. Dafür dauert die Fahrt nur eine halbe Stunde und ist, vor allem auf der Rückfahrt, konkurrenzlos gemütlich. Der Weg vom Bahnhof zum Colos-Saal ist auch nicht weit oder kompliziert, so dass gute Chancen bestehen, den Konzertsaal nicht vorzeitig verlassen zu müssen um nach Hause zu kommen. Das Bier ist vom Allerfeinsten (wir sind immerhin in Bayern) und günstiger als die ubiquitäre Hanseaten-Plörre.

Genauso diszipliniert wie gestern legen DWEF pünktlich um 20 Uhr los und spielen auch das gleiche Set, wirken aber, vielleicht durch den größeren Platz auf der Bühne, merklich entspannter. Auch im Colos-Saal sind Lücken im Publikum, die ein unbeschwertes Flanieren zwischen Bühne und Theke ermöglichen, allerdings ist es nicht unangenehm leer. Auch, wenn bei DWEF die Kuttenträger vor dem Podest stehen und bei THE OCEAN mehr Nickelbrillen, wird respektvoll beiden gleichermaßen gelauscht.

THE OCEAN bringen auch das Gleiche wie am Vortag, aber ohne Turnübungen an der Decke. Heute spricht es mich aber mehr an als gestern und ich bin überrascht, dass das Ende, wie beim Opener, auch schon nach einer knappen Stunde anfällt. Sind DWEF am Ende doch eher Co-Headliner als special guest? Nein, die durften ja keine Zugabe geben, im Gegensatz zu THE OCEAN. Ich verließ am Ende den Raum mit massig Zeit bis zum Zug, damit war nicht zu rechnen.

Unterm Strich bleibt die Erkenntnis, dass DWEF eine saugeile Band ist, für die man auch ein paar Meter weiter fahren kann, beide Locations eine gute Verkehrsanbindung haben und auf ihre Art mehr als liebenswert sind. Im Colos-Saal hätte man bleiben können, da ging die Düstermetalparty einen Tag später weiter mit A PALE HORSE NAMED DEATH. Aber da rief bereits die Heimat mit „wahrer Arbeit & wahrem Lohn“…

Links: http://theoceancollective.com/pelagial/, https://myspace.com/theoceancollective, http://www.reverbnation.com/theoceancollective, http://www.lastfm.de/music/The+Ocean, http://derwegeinerfreiheit.wordpress.com/, http://www.lastfm.de/music/Der+Weg+einer+Freiheit, http://derwegeinerfreiheit.bandcamp.com/

Text & Fotos: Micha
Clip: am Konzertabend aufgenommen von FreddyJMyers

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