SETH LAKEMAN

Brotfabrik, Frankfurt, 1.04.2014

„The leaders of the Folk-Bratpack“ nannte irgendwer laut dem Streaming-Dienst „Deezer“, in Anlehnung an Frank Sinatra und seine Spießgesellen, die English-Folk-Band EQUATION, bestehend aus den drei LAKEMAN BROTHERS Sean, Sam & Seth und den Sängerinnen Cara Dillon und Kathryn Roberts. Als Erben solcher Legenden wie FAIRPORT CONVENTION und STEELEYE SPAN und auf Augenhöhe wie die ähnlich besetzten FLEETWOOD MAC. Als großer Verehrer gerade der letztgenannten Band kann ich darüber nur müde lächeln; zu harmlos und kommerziell, aber ohne das Talent Klasse und Kommerz in so bahnbrechende Songs zu verpacken, aus denen der MAC- Klassiker „Rumours“ komplett besteht – nein, meine Musik ist das eher nicht. Wieso ich mich mit dieser Combo hier überhaupt beschäftige? Weil ich unlängst im Programm-Flyer der Frankfurter Brotfabrik über diesen Typen mit Geige stolperte und dann seine musikalische Vergangenheit checkte, in der Hoffnung, entweder etwas (für mich) Großartiges und Neues zu entdecken oder das Ganze als „uninteressant“ abzuhaken.

Der Mann mit der Geige ist Seth, der jüngste der LAKEMAN BROTHERS. Die Brüder haben in den Neunzigern auch ein Album veröffentlicht, das ich aber im Netz nirgendwo fand. Bis auf einen Song, instrumental, Folk ohne Popappeal, schon besser. Die älteren Brüder haben in der Zwischenzeit mit den Sängerinnen von EQUATION Duo-Platten herausgebracht und sie teilweise wohl auch geheiratet, schön, interessiert mich erstmal aber nicht. Seth nahm in der Küche seines Bruders alleine Platten auf. Die fand ich im Netz. Und die ließen, in der Tat, Großes erwarten.

Auch die Scheiben von Seth Lakeman sind alles andere als ohne kommerzielles Kalkül und haben eine Pop-Schlagseite, allerdings ohne dieses Schielen auf die Hitparade, dass sich in tausendmal gehörten Sounds manifestiert. Dazwischen

jedoch immer diese dynamischen Ein-Mann-Orchester-Ausreißer, mit denen Lakeman jede Fußgängerzone zum Kochen bringen würde – Geige, Gesang und das Fußstampfen als Drums, beim gestrigen Konzert in der Brotfabrik elektrisch verstärkt. In Frankfurt ist Lakeman damit kein Unbekannter – als er um 20.15 Uhr mit seinen drei Mitstreitern auf der Bühne auftauchte freute er sich „wieder in diesem schönen Ort spielen zu dürfen“ und wurde mehr als herzlich vom Publikum empfangen. Dass der 37-Jährige aus Devon trotzdem noch ein halber Geheimtipp ist, der in der von mir gelesenen Rockpresse zum Beispiel überhaupt nicht vorkommt, verriet die massenhaft vorhandene Luft zwischen den Anwesenden.

Dabei passt der smarte Tausendsassa, der neben der Violine allerlei Zupfinstrumente wie Gitarre und Laute bedient, in die grassierende Indie-Folk-Welle wie Arsch auf Eimer. Während verschlafene, nuschelnde Bartträger mit ihrer zur lautlosen Show dargebrachten Innerlichkeit Clubs wie das Zoom oder gar den Mousonturm ausverkaufen stand in der Spielstätte, die schon lange vor auftretenden Hypes Folk- und Rootsmusik ein Forum bot, nur eine Handvoll Eingeweihter. Von denen im Übrigen sehr viele weiblichen Geschlechts waren – der Mann mit dem jungenhaften Charme und dem scharfkantigen Kinn könnte auch durchaus Superboy in einer zukünftigen Verfilmung darstellen und wirkt wohl dementsprechend über seine Musik hinaus.

Lakeman scheint mir ein konservativer Bewahrer zu sein, der trotzdem nicht den Anschluss an die Moderne verpasst hat. Vor knapp einem halben Jahr erschien das Album „The Full English“, auf welchem er zusammen mit

anderen Folkmusikern Englands eine gleichnamige Internetpräsenz unterstützt, die sowohl Noten als auch Texte traditionellen britischen Liedguts vor dem Vergessen schützt – aus diesem brachte er „Portrait of my Wife“ und forderte die Anwesenden auf, mit hoch gehaltenem Bier dem geliebten Menschen zu salutieren – leider tranken die meisten aber Wein, und den hoch zu stemmen, schickte sich wohl nicht.

Mit „The Courier“ (Clip weiter oben) von seinem aktuellen Werk „Word of Mouth“ illustrierten Lakeman und seine Mitstreiter anschließend, dass eine Geige genauso „rockt“ wie eine E-Gitarre und dass leidenschaftlich zelebrierter Folk genauso geil ist wie die sonst hier auf Rockstage-Riot beschriebenen Musikstile. Die Ladies um mich herum fingen an, sich einzuhaken und zu tanzen, schön, Lakeman lächelte, die Show lief nach Wunsch. Auch die musikalischen Mitstreiter wirkten (bis auf den Bassisten) äußerst vergnügt und angetan, dabei mehr als kompetent aufspielend.

Ihre Namen habe ich leider nicht verstanden, im Netz fand ich sie auch nicht – und hier offenbart sich vielleicht eine gewisse Egozentrik (oder zumindest ein äußerst ausgeprägtes Selbstbewusstsein): Auf seinen Plattencovern ist immer er drauf, er spielt viel bis alles alleine ein und kommt, wie auch in der Brotfabrik beim fulminanten „Kitty Jay“ (Clip unten) bewiesen, beim Unterhalten durchaus alleine klar. Das

schlaucht auf Dauer, weswegen um kurz nach halb zehn auch schon Schicht im Schacht schien. Die Setlist war abgearbeitet, aber drei von vier Musikanten kamen nochmal, kredenzten ein Intrumental und grinsten dabei um die Wette. Neunzig Minuten allerfeinste musikalische Unterhaltung wurden abgeschlossen mit der Bitte „Spread The Word“. Done.

Links: http://www.sethlakeman.co.uk/, https://myspace.com/sethlakeman, http://www.lastfm.de/music/Seth+Lakeman

Text, Fotos & Clips: Micha

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