Das Bett, Frankfurt, 23.11.2024
„Das Line Up kommt evtl. für manche unerwartet“. Der, der das im Forum des Deaf Forever-Magazins schrieb, nennt sich dort „Michi666“ und ist veranstaltendes Mitglied des Taunus Metal e.V. – dem Verein, der seit 2009 in Oberursel das gleichnamige Festival mit eher traditionell ausgerichteten Metal-Acts organisiert (Kollege Marcus berichtete mehrfach in diesem Blog). Musikalisch ein bisschen derber wurde es bei den Veranstaltungen unter dem Titel Wild Boar Wars, welche ein paar Mal in der Oberurseler Portstraße stattfanden und zweimal im, bzw. vor dem Frankfurter Club „Das Bett“ (Berichte dazu hier). Und nun kam zum ersten Mal (ebenfalls in „Das Bett“) das Years Of Decay Festival dazu – dessen Line-Up die Grenzen dessen, was Puristen bereit sind als Metal wahrzunehmen, erheblich erweiterte. Was eine finanzielle Zitterpartie zur Folge hatte – wurden im Vorverkauf doch nur etwas mehr als 100 Karten unter die Interessierten gebracht.
Und das bei sechs eingeplanten Bands aus den Niederlanden, Belgien sowie Deutschland (inklusive Musizierender aus den USA und Kanada, die in Berlin residieren). Ja, das Line Up kam unerwartet und sorgte für Fragezeichen und etwas Rechercheaufwand. Doch es war, um ein Resümee mal vorweg zu nehmen, eines zum Zungeschnalzen. Eines, was man selten zu sehen bekommt und das als Mini-Roadburn Festival durchgehen konnte, dessen Motto „Redefining Heavyness“ lautet, mit Ausreißern in alle möglichen musikalischen Spektren zwischen hartem bis noch härterem Rock, Ambient oder Avantgarde. Eines, das nach dem diesjährigen Entschwinden des Karlsruher Dudefest, welches sich selber (zu Recht) als „kleines Roadburn“ bezeichnete, mehr als willkommen ist.
Am Festival-Nachmittag erreichte die Veranstalter die Nachricht, dass eine der gebuchten Bands – die Bonner VALBORG, die bereits Auftritte auf dem Tilburger Roadburn in ihrer Vita haben und für viele ein Erscheinungsgrund waren –
ORT
wegen einer Covid-Infektion nicht kommen konnten. So kurzfristig konnte natürlich kein Ersatz gebucht werden, weswegen alle anwesenden Musikanten ihre Sets ausführlicher zelebrieren durften. Am Ende geschah dies allerdings kaum – was sich zeitlich ausdehnte, waren eher die Umbaupausen. Die zweite Band des Abends, GGU:LL, schafften sogar das Kunststück, bei dieser Sachlage später zu beginnen sowie früher aufzuhören. Doch zuerst durfte ein Trio aus Deutschland ran, ORT aus Dortmund. Und ja, das sind interessante Bandnamen.
ORT bestehen aus Dennis Müller am Bass, Simon Dümpelmann am Schlagzeug sowie Hellmut Neidhard alias N an der Gitarre. Erstere werden vom Beatblogger.de „ordentlich Sludge-Erfahrung“ nachgesagt – letzterer dort als „Drone-Veteran“ bezeichnet. Das Trio performte einander konzentriert zugewandt ihre langen, zähflüssigen Stücke, die sie bisher auf diversen Singles sowie zwei LPs feilbot. Stücke, die wortlos und mit mindestens sechs bis zu mehr als 20 Minuten Länge eine industrielle Tristesse zelebrieren, die weniger durch akzentuierte Ekstasen als durch repetetives Weitermörteln beeindrucken. Das kann, so man sich darauf einlässt, durchaus soghafte Wirkung entfalten.
Nicht alle Anwesenden ließen sich jedoch darauf ein, einige schwatzten lieber vor der Pforte des Clubs. Die, die vor der Bühne verharrten, taten dies allerdings; respektvoll und ohne sichtbare Interaktionen bis auf den Applaus zwischen den sechs dargebrachten Stücken. Dass sich dieser unterm Strich ziemlich mickrig anhörte war fast den ganzen Abend so – obwohl der Saal am Ende doch weit mehr als hundert Menschen beherbergte, wurde dieses Minimum an Interaktion nicht von allen Anwesenden gewährt, warum auch immer. Kein Wunder, dass sich N bei seinem einzigen Wortbeitrag („Jetzt spielen wir unser letztes Stück“ – sinngemäß) und dem kargen Geklatsche als Antwort vielleicht etwas verhökert vorkam. War nicht so gemeint, im Gegenteil. Ein klasse Einstand war das.
Ggu:ll
Als nächstes wurde es etwas metal-liger. GGU:LL kommen aus der gleichen Stadt wie das Roadburn Festival und wirken konzeptionell wie von deren Machern erfunden. Eine Heavyness, die sich aus gleichermaßen doomigen wie tiefschwarzen Quellen speist und dabei den Post-Rock ebenso abdeckt, inklusive verendendem Geröchel bar jeder Existenzlust. Ihr 2016 erschienenes Album „Dwaling“ präsentiert als Gast sogar die THE DEVILS BLOOD-Ikone Farida Lemouchi, deren Strahlwirkung auf die ganze Heavy-Szene ebenso auf diesem Festival seinen Anfang nahm.
Eine Split-EP mit den befreundeten TERZIJ DE HORDE kann die Formation ebenso vorweisen wie Auftritte auf Festivals wie dem Samhain oder dem belgischen Desertfest. Und ja, in der Darmstädter Oetinger Villa waren sie auch schon. Trotzdem ist die aktuelle wie innovative niederländisch/belgische Szene livetechnisch in unseren Breiten nach wie vor unterrepräsentiert, weshalb man den Veranstaltern hier schon mal einen besonderen Dank aussprechen muss. Unter fast konstantem Giftgrün sorgten die Niederländer mit dem besonders bewegungsfreudigen Bassisten Dave van Beek für erste offene Münder sowie Abverkäufe am Merchstand. Applaustechnisch wurden allerdings auch GGU:LL nicht besonders verwöhnt.
Trotzdem hätte man der folgenden, unter konstantem Rot auftretenden Ambient-Drone-Ikone Aidan Baker zumindest soviel Aufmerksamkeit und Respekt gewünscht, wie sie GGU:LL kurz zuvor eingefahren hatten. Der Kanadier, der seit Jahren in Berlin weilt und dort gefühlt jeden zweiten Tag eine Kleinstlocation beschallt (wenn er nicht gerade seine Fanbase in Japan beglückt), trat als Duo mit dem Dortmunder N auf, der ja bereits mit ORT einen Eindruck bei dieser Sause hinterlassen hatte. Die beiden schlugen ihre Saiten an und malten akustische Landschaften ins Rund, bei denen gleichermaßen wenig wie außerordentlich viel zwischen den Ohren der Lauschenden passierte.
Aidan Baker + N
Das anschwellende Gewaber arbeitete mit Lautheit wie Dynamik und zog die wenigen, die nicht nach wenigen Minuten genervt das Weite suchten, magisch an sowie in einen Strom tiefer Emotionalität. Durchgebrummt wurde man, alles wackelte. Flatternde Hosen dominierten sowie Ohren, die um Gehörschutz flehten. Baker schien sich bei der Lauterzeugung dabei vor Allem auf die untere Hälfte seines Instruments zu fokussieren, welches er auf alle möglichen Arten mit seinen Händen malträtierte, die man wohl kaum bei Peter Bursch in seinen Gitarrenbüchern findet. Der Geigenbogen am Ende der dargebrachten 40 Minuten, durch Jimmy Page zur Berühmtheit beim Gitarrenspiel geworden, gab optisch etwas mehr her – die meisten Showeinlagen passierten allerdings im Kopf. Für mich war das einer der absoluten Höhepunkte dieses Years of Decay Festivals.
Ein Knaller jagte nun den nächsten. Auch die folgenden INSECT ARK residieren in Berlin, kommen ursprünglich jedoch aus den USA. Kern des Trios ist Dana Schechter, die ebenso bei den SWANS lärmt und INSECT ARK als Solo-Ding in New York startete, bei dem ihr Bassspiel neben einer signifikanten Lap-Steel-Gitarre sowie elektronischen Spielereien im Vordergrund steht. Tim Wyskida, der noch bei KHANATE und sogar bei den legendären BLIND IDIOT GOD (mit denen ORT häufig verglichen wurden) spielt, ist der dritte Schlagzeuger, den Schechter zur Unterstützung ihres ehemaligen Soloprojektes engagierte und inzwischen vollwertiger Partner im Projekt.
Insect Ark
Dritter im Bunde ist seit Kurzem Lynn Wright, Gitarrist, Komponist und Produzent aus dem New Yorker Noise-Umfeld um die SWANS, mit dem Schechter schon bei BEE AND FLOWER zusammen gespielt hat. Gerade die Lap-Steel-Gitarre evoziert eine besondere Weite in ihrem Klang, weswegen sie häufig im Country- und Americana-Kontext eingesetzt wird.
Schechters Hauptinstrument ist allerdings der Bass, mit dem sie sich live nun begnügt – wobei sie als zusätzliche Klangfarbe auf dem neuesten INSECT ARK-Album ihre Gesangsstimme entdeckt, die vorher bei all den von ihr verantworteten Sounds keine Rolle gespielt hat. Ebenso konzentriert einander zugewandt wie das erste Trio des Abends schufen INSECT ARK in ihrer knapp einstündigen Spielzeit ein schweres und düsteres Ambiente, das im Vergleich zu den vorangegangenen Performances ein Mehr an Stimmungen, Dynamiken und guter Laune offenbarte, inklusive Geburtstagsgrüße an YoD-Organisator Michael Rohde. Schechter wirkte, als würde sie mit dem Hals ihres Basses dirigieren, wenn sie nicht in ihr Mikro sang. Und Wright begnügte sich nicht mit der ausufernden Lap-Steel, sondern zockte auch mal ganz klassisch mit umgehängter Klampfe einige rockige Riffs. Der Avantgardismus des Trios war weit songdienlicher als bei seinen Vorgängern, dabei jedoch nicht minder beeindruckend. Klassischer Metal war das mit Sicherheit ebenfalls nicht – von den experimentierfreudigen Formationen des Abends war dies jedoch die, die bei den Kuttenträgern am meisten Eindruck machte.
Diese warteten allerdings seit Stunden auf den erhofften Abriss am Schluss.
Alkerdeel
Legendär war wohl der Auftritt ALKERDEELs an gleicher Stelle bei den Wild Boar Wars 2022, den ich leider aus den gleichen Gründen verpasste, wegen denen VALBORG dieses Mal ausfielen. Lediglich fünf Songs standen auf der diesjährigen Setlist der Belgier, die allerdings genauso lang dauern können wie ein LP-Track von ORT. Nur eben krasser, schneller und energetischer.
Bei allem Respekt für dieses Gemetzel am Schluss und aller Sympathie für die sich entladende Energie im inzwischen gut gefülltem Saal zu später Stunde, so war dies für mich persönlich wie subjektiv der uninteressanteste Act des Abends. Ich hatte genug Eindrücke zu verdauen sowie zukünftige Bestelllisten auszufüllen und verließ das Geschehen nach 30 Minuten good friendly, violent fun der musikalischen Kraftsportler. Voller Hoffnung, dass diese Veranstaltung kein Einzelfall bleibt und Taunus Metal e.V. in Zukunft Ähnliches plant. Nicht nur ich wäre entzückt über ein regelmäßiges „kleines Roadburn“ vor der Haustür.
Links: https://m.facebook.com/ORTband/, https://o-r-t.bandcamp.com/, https://m.facebook.com/ggullband/, https://ggull.bandcamp.com/, https://www.instagram.com/aidanbakermusic/, https://aidanbaker.bandcamp.com/, https://www.insectark.com/, https://insectark.bandcamp.com/, https://m.facebook.com/alkerdeel/, https://alkerdeel.bandcamp.com/
Text & Fotos: Micha
Years of Decay-Artwork: Nebil
Alle Bilder: