Schlachthof, Wiesbaden, 4.09.2014
Es war mein dritter Anlauf, die amerikanischen Doom-Metal-Pioniere PENTAGRAM live zu erleben. Im Oktober 2009 war ich im Frankfurter Nachtleben, in dem sich damals gerade einmal 30, vielleicht 40 Fans versammelt hatten, um die Band zu sehen. Die stand auch tatsächlich auf der Bühne, nur Sänger Bobby Liebling (rechts) hatte sich – so hieß es – einige Stunden zuvor ins Rotlicht-Viertel abgesetzt und war seither verschollen. Nach einigen Instrumental-Songs ging ich schließlich nach Hause, musste aber am nächsten Tag erfahren, dass Bobby gegen halb zwei doch noch auftauchte und zumindest für einen Song auf dem Podest stand. Hmpf. Den zweiten Versuch unternahm ich im vergangenen Jahr, als PENTAGRAM im Wiesbadener Schlachthof gastierten, dessen Türen aber für mich verschlossen blieben, da das Konzert ausverkauft war. Hmpf.
Diesmal hatte ich vorgesorgt und mein Ticket entgegen meiner Gewohnheit Monate im Voraus besorgt. Als ich jedoch am Schlachthof eintraf, stand ich erneut vor den verschlossenen Türen der Räucherkammer. Sollte ich mich im Tag geirrt haben? Nein, ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort, das Konzert war allerdings aufgrund der großen Nachfrage in den Salon der großen Halle verlegt worden, der gut und gerne 500 Besucher fasst. Und der Raum wurde auch gebraucht, es war knüppelvoll, unangenehm warm und stickig. Warum nicht gleich die große Bühne der Halle genutzt wurde, ist mir schleierhaft.
Nun mag man sich fragen, wie es sein kann, dass eine in den frühen Siebziger Jahren gegründete Band, für die sich bis dato keine Sau interessierte und die vor fünf Jahren gerade mal drei Dutzend Leute anlockte, plötzlich mehr als das Zehnfache an Besuchern zieht. Dies liegt zum einen am derzeit kursierenden Retro-Boom, der nicht nur alte Säcke wie den Autor dieser Zeilen, sondern auch viele sehr junge Menschen für den Sound der Seventies begeistert, zum anderen an der Musik-Doku „Last Days Here“ aus dem Jahr 2013, die sich voll und ganz dem Leben und Leiden des PENTAGRAM-Sängers widmet und ohne Zweifel zu den besten und dramatischsten Musik-Dokumentationen aller Zeiten zählt.
Der Film zeigt Bobby Liebling zu einer Zeit, in der er stark von Crack abhängig nur noch ein Schatten seiner selbst war und schildert auf mitreißende Art und Weise, wie ihm die Liebe zur Musik – und zu einer Frau – das Leben rettete. Hat man die Doku gesehen, kann man eigentlich nur Sympathie und Bewunderung für den 60-jährigen Frontmann aufbringen und sich darüber freuen, dass ihm und der Band 2014 endlich die Aufmerksam zuteil wird, die sie bereits in den Siebziger, spätestens aber in den Achtziger Jahren verdient gehabt hätten.
Über die Historie der Band (die ebenfalls in der Doku erzählt wird) könnte man ein ganzes Buch füllen, daher sei an dieser Stelle nur kurz erwähnt, dass PENTAGRAM 1975 eine große Karriere hätten starten können, da sowohl die Manager von BLUE ÖYSTER CULT, als auch Gene Simmons und Paul Stanley von KISS interessiert waren, die Combo unter ihre Fittiche zu nehmen, dies aber aufgrund von bandinternen Streitigkeiten stets scheiterte und dass die legendären Garage-Rocker THE FUZZTONES den 1972 entstandenen PENTAGRAM-Song „Be Forwarned“ coverten, was durchaus als Auszeichnung zu verstehen ist. Darüber hinaus ist festzustellen, dass Bobby Liebling kein einfacher Mensch ist und bereits weit über 30 Bandmitglieder verschlissen hat.
Doch nun zum gestrigen Gig, der zunächst von der aus Hamburg stammenden Formation MOUNTAIN WITCH – nicht zu verwechseln mit der weitaus bekannteren US-Band WITCH MOUNTAIN – eröffnet wurde. Passend zum Headliner boten die Norddeutschen eine homogene Mischung aus 70s Hardrock und Doom, die stark an die frühen Werke von BLACK SABBATH erinnert. Als klassisches Trio agierend teilen sich dabei Drummer René Roggmann und Gitarrist René Sitte den Gesang, der aber ob der übermächtigen Riffs eher schmückendes Beiwerk denn Charakteristikum der Combo ist.
Die Songs dürften alle die Fünf-Minuten-Grenze überschritten haben und boten in der Regel eine Mischung aus schweren Riffs und ruhigeren, sphärischen Passagen, die das Ganze recht kurzweilig und abwechslungsreich machten. Bisher haben die Jungs zwei solide Longplayer vorzuweisen, als deren einzigen Schwachpunkt man den Gesang ansehen mag. Wenn hier noch ein richtig guter Shouter am Start wäre, dürfte sich die Konkurrenz warm anziehen. Doch auch so hat mir der Gig richtig gut gefallen und war ein perfekter Opener des Abends. Erstaunlich war die Anwesenheit extrem vieler junger Besucher. Dies fiel mir auf, als ich eine Kinderstimme sagen hörte: „Papa, wann kommen PENTAGRAM?“, und mein Blick auf eine Gruppe von drei Kindern fiel, die vielleicht zehn oder zwölf Jahre alt sein mochten und sich ganz vorne, am Absperrgitter vor der Bühne, tummelten. Schön für die Band und ebenso schön für die Kids, die hier bereits in jungen Jahren eine essentielle musikalische Erfahrung machten.
Nach einer recht langen Umbaupause ging das Licht schließlich aus, ein Intro erklang und PENTAGRAM standen auf der Bühne. Endlich. Anno 2014 rekrutiert sich die Band aus Gitarrist Victor Griffin (rechts), der seit 1983 immer mal wieder zum Lineup gehörte und aktuell auch bei IN-GRAVED und PLACE OF SKULL tätig ist, Basser Greg Turley (links), der schon Mitte der Neunziger Jahre ein kurzes Gastspiel bei PENTAGRAM gab und nun seit 2010 zur festen Riege gehört, Drummer Sean Saley, der seit 2012 mit von der Partie ist und natürlich Bobby Liebling, dem einzig konstanten Mitglied seit der Gründung 1971. Und der präsentierte sich am gestrigen Abend im schicken Freddy Krueger-Pullover und zog ob seiner obskuren Grimassen die Blicke der Besucher sofort auf sich. Nun könnte man natürlich sagen, dass der Mann als optische Mischung aus Catweazle und Marty Feldman die Massen hauptsächlich aufgrund seines nicht zu leugnenden Freak-Show-Charakters anzieht, doch dem ist nicht so, denn Liebling live auf der Bühne agieren zu sehen hat etwas Magisches. Er geht in seinem Dasein als Zeremonienmeister des Dooms auf und man merkt ihm an, wie wohl er sich auf der Bühne fühlt und wie gut ihm die Auftritte tun. Daran (endlich) teilhaben zu dürfen, war für mich etwas ganz Besonderes.
Musikalisch konzentrierte sich die Band hauptsächlich auf Songs ihrer frühen Schaffensphase, fünf Songs vom Debüt aus dem Jahr 1985 wurden zum Besten gegeben, zudem wurden diverse ältere Tracks geboten, die später auf der Compilation „First Daze Here“ veröffentlicht wurden. Darüber hinaus gab es Stücke vom „Be Forwarned“-Album (1994) und vom (noch) aktuellen Werk „Last Rites“ von 2011. Mit von der Partie waren Klassiker wie „Sign of the Wolf“, „Sinister“, „Forever My Queen“, „When The Screams Come“ und starke aktuelle Songs wie „Call The Man“ oder „Nothing Left“.
Der finstere 70s-Hardrock, der später den Begriff Doom definieren sollte, zog die Besucher von der ersten bis zur letzten Reihe in seinen Bann, wobei sich besonders die jungen Gäste äußerst textsicher zeigten und die Songs begeistert mitsangen. Die Lyrics nahezu aller Songs spiegeln die Seelenwelt des Bobby Liebling wider und die Art und Weise, wie er sie mit extremer Mimik und großer Gestik wiedergibt (siehe Videoclip) ist einzigartig. So verging die Zeit fast wie im Flug und als mit „Be Forwarned“ die erste Zugabe eingeleitet wurde, war klar, dass der Abend leider viel zu früh enden würde. Ein neuer, bisher unveröffentlichter Song gab allerdings Anlass zur Hoffnung, dass PENTAGRAM demnächst ein neues Album einspielen und uns bald wieder beehren – vielleicht ja dann in der großen Halle. Es wäre keiner Band mehr zu gönnen als dieser.
Links: https://www.facebook.com/mountainwitch, http://www.lastfm.de/music/Mountain+Witch, http://mountainwitch.bandcamp.com/, http://pentagramusa.com/, https://myspace.com/brokenvows, http://www.reverbnation.com/pentagramofficial, http://www.lastfm.de/music/Pentagram
Text: Marcus
Fotos: Matthias Weigand, viele weitere schöne Bilder auf www.cxc.info
Clip: am Konzertabend aufgenommen von mattsixsixsix
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